Dragon’s Hall Wiesbaden
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Capoeira – afro-brasilianischer Kampftanz
”Capoeira verbindet so Gegensätzliches wie Kampf und Tanz, Gewalt und Ästhetik, Spiel und
tödlichen Ernst, Ritual und Spontanität, choreographische Strenge und Bewegungsimprovisation,
Magie und Realitätssinn, Körperschulung und Lebensphilosophie” (Piero Onori)
Die Mischung aus Kampfsport und rhythmischer Bewegung wurde vor etwa 400 Jahren
auf den Zuckerrohrplantagen Bahias im nordöstlichen Brasilien von afrikanischen Sklaven
als Ausdruck des Widerstandes und zur Verteidigung entwickelt.
Die drei Hauptelemente der Capoeira bestehen aus Kampftechniken, Musik (Chula) und
rhythmischer Bewegung.
Bei einem traditionellen Kampf betreten zwei Capoerista den “Ring” (Roda), wobei sie sich
in einer Art Wiegeschritt (Ginga) zum Rhythmus von Kongatrommeln (Atabaque),
Schellentamburin (Pandeiro) und Berimbau (einem afrikanischen Bogeninstrument)
umeinander bewegen. Aus der Ginga heraus werden Kampftechniken und akrobatische
Figuren ausgeführt, wobei kaum zu unterscheiden ist, ob es sich um Tanzen oder Kämpfen
handelt. Viele Bewegungen der Capoeira sind von Tieren abgeschaut: der Kopfstoß eines
Stieres, der Huftritt eines Esels oder der Rückwärtssalto von Affen. Da den afrikanischen
Sklaven einst bei der Arbeit auf den Feldern oft die Hände zusammengekettet wurden,
trainierten sie zu Verteidigungszwecken insbesondere ihre Beine. Daher blieb die Capoeira
bis heute vor allem auf Fußtritte, Räder, Drehbewegungen, Beinscheren, Beinhebel und
Fußfeger konzentriert. Doch auch Knie, Ellenbogen und Kopf werden eingesetzt.
Obwohl in der jahrhundertelangen Entwicklung dieses Kampftanzes auch viele
Handtechniken hinzukamen, benutzt man die Hände hauptsächlich zur Abwehr von
Fußangriffen und zum Abdrücken vom Boden.
So wirbeln die die Kämpfer bzw. Tänzer mit atemberaubender Geschwindigkeit um die
eigene Achse und schnellen – sich mit den Händen auf dem Boden abstüzend – ihre Füße
zum Kopf, Rumpf oder den Beinen des Gegners. Blitzschnelle Angriffsbewegungen,
Ausweichmanöver und Gegenangriffe wechseln einander ab. Wenn ein Kämpfer den anderen
dreimal zu Boden bringt oder ihn aus dem Kreis drängt, hat er den Kampf gewonnen –
auch k.o. ist erlaubt. Die zuschauenden Capoeirista begleiten den Rhythmus der Instrumente
durch Händeklatschen und Singen der alten Lieder der Schwarzen, die von der schweren
Arbeit auf den Plantagen, dem Kampf gegen die Unterdrückung oder von Zumbi
(einem berühmten König der Sklaven) erzählen.
Capoeira wird locker und geschmeidig ausgeübt, ist aber als Kampfpraktik dennoch
sehr effektiv.
Der afro-brasilianische Kampftanz ist unabhängig von Geschlecht, Alter oder sportlichem
Können. Es ist die Freude, sich zu bewegen, die Freude seinen Körper kennenzulernen und
zu beherrschen. Die akrobatischen Figuren und Bewegungsabläufe können von Frauen,
Männern, Jugendlichen und Kindern in nahezu jedem Alter und mit unterschiedlicher
Kondition, Beweglichkeit und Schnelligkeit nachvollzogen und erlernt werden.
Wichtig ist ein offener Geist und sportliche Experimentierfreude. Bewegung, Gesang
und Musik verbinden sich und somit verschmelzen auch Körper, Geist und Seele zu einer
harmonischen Einheit.
Entstehung der Capoeira – ein stolzes Volk lehnt sich auf
Über die Entstehung und Entwicklung der Capoeira ist heute wenig bekannt. Am weitesten
verbreitet ist die Auffassung, daß die ersten afrikanischen Sklaven, Bantu-Stämme,
die vor ca. 300 Jahren, zu Zeiten der portugiesischen Kolonisation, aus Angola über Lissabon
nach Brasilien verschleppt wurden, die die Urform der Capoeira mitbrachten.
Was ursprünglich ein ritueller Tanz war (Mucope, ein Kriegstanz bei Fruchtbarkeitsriten),
entwickelten die Sklaven in kurzer Zeit zur einer durchaus effektiven
Selbstverteidigungstechnik. Die Sklaven übten ihre Kampfpraktiken, mit denen sie sich ohne
Waffen gegen die Gewalt ihrer Unterdrücker auf den Zuckerrohrfeldern wehren konnten,
meist mit Tanz und Musik getarnt:
Die weißen Herren sollten denken, daß ihre Sklaven afrikanische Riten tanzten, während
sie sich in Wahrheit auf Kämpfe vorbereiteten.
Auch wie es zum Namen “Capoeira” kam, ist nicht wirklich geklärt, denn der Begriff hat
unterschiedliche Bedeutung. In der Sprache der Tupi-Indianer und heute in Brasilien
gebräuchlich, bezeichnet er ein Stück gerodeten Urwald mit halbhoher Bewachsung oder eine
Vogelart, bei der das eifersüchtige Männchen oft böse Kämpfe mit seinen Rivalen austrägt.
In Portugal versteht man unter “Capoeira” einen Hühnerstall. Aber keine afrikanische
Sprache kennt diesen Begriff. Vielleicht wurde der Kampf-Tanz Capoeira genannt,
weil die Sklaven im unzugänglichen Unterholz trainierten oder weil ihre Bewegungen
dabei an den Streit zweier Vögel erinnern.
Als gesichert gilt jedenfalls, daß immer wieder Sklaven vor dem unerträglichen Leben auf
den Zuckerrohrplantagen in den Urwald flüchteten. Die in der Capoeira geschulten Körper
waren zunächst die einzige Waffe bei der Verteidigung ihrer Fluchtburg, ihrem eigenen
“Staat”, dem Quilombo dos Palmares. Fast 40.000 Schwarze folgten dem Ruf der Freiheit –
unter ihnen Zumbi, einer ihrer Könige, der in den zahlreichen Kämpfen gegen die
Kolonisatoren zu historischer Berühmtheit gelangte. Die aufständischen Sklaven konnten
sich bis etwa 1697 behaupten, bevor sie ihren Gegnern unterlagen. Nach der Zerstörung
des Quilombos wurde Capoeira (als Tanz getarnt) auf den Plantagen heimlich weitertrainiert.
An der Schwelle des 19. Jahrhunderts kam die Capoeira vom Land in die Städte.
Die Kämpfer erlangten dort schnell den Ruf”unbesiegbarer Leichtfüße”und ”Taugenichtse”.
Die meisten Capoeirista waren auch aktive Anhänger des Candomblé, die in den Terreiros
Unterschlupf fanden und sie verteidigten.
”Um sich vor der Verfolgung durch die Polizei zu schützen - die auch der eigentliche Grund
dafür war, daß die Capoeira zu einem Verbrechen absank, statt sich zu einem
charakteristischen afro-brasilianischen sportlichen Spiel zu entwickeln -, bildeten die
Capoeira, was nur allzu verständlich war, mit Messern und Rasiermessern bewaffnete
Banden, die in unaufhörlichen Streifzügen die friedliche bürgerliche Bevölkerung dieser
alten und rückständigen Hauptstadt in Schrecken und Panik versetzen.”
Schreibt der Soziologe Gilberto Freyre. In den Straßen von Rio de Janeiro lieferten sich diese
Banden im 19. Jh erbitterte Kämpfe.
Auch nach der erfolgten Abschaffung der Sklaverei 1888 wurde Capoeira insbesondere von
der farbigen Bevölkerung Brasiliens betrieben. Und nach wie vor verfolgte die Obrigkeit
die als unberechenbar geltenden Capoeirista, weil sie fürchtete, die Schwarzen könnten zur
Rebellion aufrufen. Ihr Ruf als Instrument des Widerstandes machte Capoeira wegen der
weiter existierenden Rassendiskriminierung verdächtig.
So blieb Capoeira bis 1937 offiziell in Brasilien verboten. Erst nach einer eindrucksvollen
Vorführung des berühmten und engagierten Capoeira-Meisters Bimba erkannte der damalige
Präsident Vargas die Bedeutung des afro-brasilianischen Kampftanzes als wesentlichen
Bestandteil der Landeskultur und hob das Verbot auf.
Die einst geheime Kampfkunst der Sklaven wurde auf diese Weise im Laufe der Jahrhunderte
zum geschichts- und symbolträchtigen Breitensport Brasiliens. Heutzutage wird durch
zahlreiche Capoeira-Projekte in Brasilien vielen Strassenkindern eine bessere
Zukunftsperspektive gegeben, da Capoeira ihnen auch Selbstvertrauen und
Verantwortungsgefühl vermittelt.